Ob die zwingenden Mindest- und Höchstsätze der HOAI 2009/ 2013 nach der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH, Urteil vom 04.07.2019 – Rs. C-377/17) noch von deutschen Gerichten angewendet werden dürfen, erhitzte die Gemüter der Auftraggeber und Architekten immer dann, wenn der Architekt sein Honorar mit einer sogenannten Aufstockungsklage statt nach dem niedriger vereinbarten Pauschalhonorar nach den Mindestsätzen der HOAI 2009/ 2013 abzurechnen versuchte.
Nachdem der EuGH im Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland festgestellt hat, dass das zwingende Preisrecht der HOAI 2009/ 2013 (u. a. zwingende Mindest-/Höchstsätze) gegen EU-Recht verstößt, stellte sich die Frage, ob dieses zwingende Preisrecht der HOAI von einem deutschen Gericht noch angewandt werden darf oder ob es nicht so entscheiden müsste, als wenn diese Regelungen nicht existent wären. Sofern die Gerichte das zwingende Preisrecht noch anwenden dürfen, könnten Architekten sich bei ihrer Schlussrechnung auf die zwingenden HOAI-Mindestsätze berufen und damit ihr einst niedriger vereinbartes Pauschalhonorar teilweise verdoppeln. Vom EuGH erging sodann eine weitere Entscheidung (EuGH, Urteil vom 18.01.2022 – Rs. C-261/20, so auch BGH, Urteil vom 02.06.2022 – VII ZR 229/19), wonach zumindest in Vertragsverhältnissen zwischen Privaten ohne EU-Auslandsberührung noch das zwingende HOAI-Preisrecht angewandt werden darf. In diesen Konstellationen war der Weg für die Aufstockungsklagen damit (wieder) frei. Die deutsche Rechtsprechung erklärte dies jedoch nicht für Vertragsverhältnisse mit öffentlichen Auftraggebern anwendbar. Daher wurde vertreten, dass Aufstockungsklagen gegen den öffentlichen Auftraggeber nicht möglich seien, da in diesen Vertragsverhältnissen das zwingende Preisrecht der HOAI nicht mehr angewendet werden dürfe.
Der BGH hat nun auch für diese Konstellation entschieden, dass das zwingende Preisrecht der HOAI 2009/ 2013 – soweit einschlägig – anzuwenden sei. Der BGH begründete dies damit, dass sich ein Staat (und alle dazugehörenden Subjekte) bei einer gegen ihn gerichteten Aufstockungsklage nicht zu seinem Vorteil auf die unmittelbare Wirkung der EU-Richtlinie berufen kann, weil er selbst es unterlassen habe, diese in deutsches Recht umzusetzen. Anderenfalls könne er aus einer Pflichtverletzung einen Vorteil für sich ziehen, was abzulehnen sei. Wenn sich ein Staat auf die EU-Richtlinie berufen möchte, dann muss er diese vorher auch in eigenes Recht umsetzen, so der BGH. Damit sind Aufstockungsklagen auch gegen öffentliche Auftraggeber erfolgversprechend, sofern die HOAI 2009/ 2013 Anwendung findet. Ein erheblicher Gewinn für Architekten.