Gute Nachrichten für Architekten und Ingenieure die mittels sogenannter Aufstockungsklagen unter Berufung auf das verbindliche Preisrecht der HOAI die Unwirksamkeit einer Honorarvereinbarung wegen Unterschreitens des in § 7 HOAI 2013 geregelten Mindestsatzes gegen ihren Auftraggeber geltend machen. Hat ein Auftraggeber deswegen mehr Honorar zu zahlen als vereinbart, soll er diese finanzielle Mehrbelastung gegenüber der Bundesrepublik Deutschland als Schadensersatz geltend machen können.

1.

Seit dem 01.01.2021 gilt die neue Honorarordnung für Architekten und Ingenieure – HOAI 2021. Für alle seit dem beauftragte Planungs- und Überwachungsleistungen sind die Honorare mit Architekten, Ingenieuren und Fachplanern frei verhandelbar. Eine Mindest- und Höchstsatzregelung gibt es nicht mehr. Offen blieb bisher die Frage, ob dies auch für „Altfälle“ gilt, also für Beauftragungen, die bis zum 31.12.2020 geschlossen wurden. Nun verkündete der Europäische Gerichtshof (EuGH) sein Urteil dazu – und sorgt damit für Überraschungen auch jenseits des Architektenrechts.

Denn mit dem aktuellen EuGH-Urteil vom 18.01.2022 – C-261/20 werden sogenannte Aufstockungsklagen erfolgsversprechend. Zwar wurde in der Baurechtsszene erwartet, dass der EuGH die Mindestsätze (und Höchstsätze) der HOAI (bis zur Fassung von 2013) auch für ältere Verträge auf nationaler Ebene für unbeachtlich halten würde. So jedenfalls lauteten die vorausgegangenen Empfehlungen des Generalsstaatsanwalts, denen der EuGH regelmäßig auch folgt. Es kam aber anders. Der EuGH stellt mit seinem Urteil fest, dass nationale deutsche Gerichte die unionsrechtswidrige Mindestsatzregelung der HOAI 2013 zwischen Privatpersonen grundsätzlich weiter anwenden dürfen. Der EuGH stellte zwar mit seinem Urteil vom 04.07.2019 – C-377/17 fest, dass die Mindest- und Höchstsätze der HOAI in der Fassung 2013 unionsrechtswidrig sind. Wie mit dieser Entscheidung umzugehen sei, hat in Deutschland zu einer sehr kontroversen Diskussion geführt und auch unterschiedliche Beurteilung durch die Gerichte geführt. Mit dem aktuellen Urteil stellt der EuGH aber den Grundsatz klar, dass sich eine Richtlinie der Europäischen Union, anders als die nur in wenigen Fällen zulässige Verordnung, nur an den Mitgliedsstaat richte und dem Einzelnen keine Verpflichtungen auferlegen könne. Deutsche Gerichte sind nicht allein aufgrund des Unionsrechts verpflichtet, die deutsche, also nationale Regelung unangewendet zu lassen, obwohl die HOAI 2013 mit ihren Mindest- und Höchstsätzen nach Auffassung des EuGH gegen die Dienstleistungsrichtlinie verstößt. Damit spielt der EuGH den Ball zurück an den Bundesgerichtshof (BGH). Dieser hatte im Mai 2020 den EuGH um eine Vorabentscheidung ersucht (BGH, Beschluss vom 14.05.2020 – VII ZR 174/19). Der VII. Zivilsenat des BGH tendierte bisher bereits zu der Auffassung, für die „Altfälle“ (Architekten-, Ingenieur- Fachplanerverträge, die bis zum 31.12.2020 geschlossen wurden) die verbindlichen Mindestsätze trotz des EuGH-Urteils vom 04.07.2019 – C-377/17 weiter anzuwenden. Dem BGH zufolge zwinge das „Mindestsatz-Urteil“ des EuGH vom 04.07.2019 die nationalen Gerichte nicht, von der Unwirksamkeit der entsprechenden Regelung in § 7 HOAI 2013 (und auch in den Vorgängerfassungen) auszugehen.

Mithin ist zu erwarten, dass der BGH in dem laufenden Verfahren die Revision des Auftraggebers zurückweisen wird, nachdem die Vorinstanz eine Mindestsatzberechnung zugelassen hatte und der sogenannten Aufstockungsklage stattgab. Der klagende Architekt oder Ingenieur kann abweichend von der vertraglichen Honorarvereinbarung den Mindestsatz verlangen.

Diese Bewertung dürfte (erst Recht) auch für Verträge mit öffentlichen Auftraggebern gelten.

Sogenannte Aufstockungslagen sind damit erfolgsversprechend. Die aktuelle Entscheidung aus Luxemburg wird für grob geschätzt einige tausend Verfahren in Deutschland bedeutsam sein.

2.

Interessant ist die Auffassung des EuGH, dass der Auftraggeber die Differenz zwischen dem vertraglich vereinbarten Honorar und dem zu bezahlenden höheren Mindestsatz tatsächlich als Schadensersatz gegenüber dem Bund geltend machen könne. Das dürfte im Ergebnis davon abhängen, inwieweit ein Auftraggeber auf die Nichtigkeit nationalen Rechts vertrauen durfte und ob es somit eine „unmittelbare Kausalität“ für die finanzielle Mehrbelastung gibt.