Eine vorzeitige Beendigung von Bauverträgen mittels Kündigung sollte aus verschiedenen sachlichen und daran angeknüpft rechtlichen Gründen (insbesondere wegen der sogenannten „Schnittstellenproblematik“) immer das letzte Mittel sein, wenn ein Bauvorhaben „ins Stocken“ geraten ist. Fasst ein Auftraggeber solchen Schritt dennoch ins Auge, sollte er zur Vermeidung einer Vergrößerung der Probleme sehr genau die Voraussetzungen der Kündigung prüfen. Diese waren Gegenstand des Urteils des OLG Karlsruhe, das feststellte:

1. Ist die rechtzeitige Erfüllung eines Bauvertrags durch Hindernisse ernsthaft in Frage gestellt, die im Verantwortungsbereich des Auftragnehmers liegen, und ist dem Auftraggeber ein weiteres Zuwarten nicht mehr zuzumuten, kann er dem Auftragnehmer eine angemessene Frist zum Nachweis der fristgerechten Erfüllbarkeit des Bauvertrags setzen und gleichzeitig erklären, dass er ihm nach fruchtlosem Ablauf der Frist den Auftrag entziehen wird.
2. Bei der Entscheidung, ob der Auftraggeber eine Kündigung wegen drohenden Verzugs erklärt, muss er eine Prognose anstellen, ob es dem Auftragnehmer noch gelingen wird, den Auftrag fristgerecht auszuführen. Es kommt dabei auf die für den Auftraggeber ex ante erkennbaren objektiven Umstände an und nicht auf Versprechungen des in Verzug geratenen Auftragnehmers oder auf von ihm entfaltete Hintergrundaktivitäten, die für den Auftraggeber nicht transparent sind und es dem Auftragnehmer (vielleicht) ermöglichten, doch noch fristgerecht zu erfüllen.

Dem zu bewertenden Sachverhalt lag ein Bauvertrag über die Errichtung eines Hochwasserschutzes zugrunde. Der Auftragnehmer erbrachte seine Leistungen nur zögerlich. Der Auftraggeber forderte den Auftragnehmer unter Fristsetzung auf, ihm die rechtzeitige Erfüllung des Bauvertrages, sprich die pünktliche Fertigstellung der beauftragten Leistung, nachzuweisen. Dem kam der Auftragnehmer nicht nach. Nach Ablauf der gesetzten Frist kündigte der Auftraggeber den Bauvertrag und verlangte vom Auftragnehmer Ersatz der Mehrkosten für die Fertigstellung.

Mit Erfolg! Der Auftraggeber – so das OLG Karlsruhe – konnte verlangen, dass ihm der Auftragnehmer bereits vor Eintritt des Verzuges die fristgerechte Erfüllbarkeit des Bauvertrags nachweist (siehe auch schon BGH, Urteil vom 21.10.1982 – VII ZR 51/82). Auf den Einwand des Auftragnehmers, der Termin sei noch „zu halten“ gewesen, komme es nicht an. Denn bei der Entscheidung, ob der Auftraggeber eine Kündigung wegen drohenden Verzugs ausspricht, muss er (nur) eine Prognose anstellen, ob es dem Auftragnehmer noch gelingen wird, den Auftrag fristgerecht auszuführen, also alle Leistungen pünktlich fertigzustellen. Es kann dabei nur auf die für den Auftraggeber ex ante (im Voraus) erkennbaren objektiven Umstände ankommen und nicht auf Versprechungen des in Verzug geratenen Auftragnehmers. Im Zweifel sind die in der Vergangenheit zutage getretenen personellen und sachlichen Kapazitäten des Auftragnehmers und die von ihm bislang gezeigte zögerliche Arbeitsweise auf die Zukunft „umzulegen“, und es ist – wenn keine objektiv erkennbaren Verbesserungen erkennbar werden – die Antwort auf die Frage entscheidend, ob der Auftragnehmer bei Fortführung seiner bisherigen Bemühungen in gleicher Intensität den Auftrag wird fristgerecht vollenden können. Sind Zwischenfristen aus einem vertraglichen oder internen Bauzeitenplan bereits überschritten, besteht eine tatsächliche Vermutung dafür, dass aus gegenwärtiger Sicht auch eine Überschreitung der Ausführungsfristen zu erwarten ist. Etwaige vom Auftragnehmer nachträglich in den Raum gestellte Material- bzw. Personalaufstockungsmöglichkeiten zu widerlegen, kann dem Auftraggeber im Schadensersatzprozess nach im Rahmen der zu prüfenden Voraussetzungen des § 8 Abs. 3 VOB/B  – so das OLG Karlsruhe – nicht abverlangt werden.

Ob diese Maßgabe „allgemeinverbindlich“ ist, sollte – sicherheitshalber – nicht angenommen werden. Natürlich – wie immer – sind die Umstände des Einzelfalles entscheidend. Unter Berücksichtigung der vom OLG Karlsruhe angesetzten Maßgaben hatte vorliegend der Auftraggeber keine zwingenden Gründe vorgetragen, weshalb der vereinbarte Vertragstermin trotz der (behaupteten) Möglichkeit einer Material- und Personalaufstockung vom Auftragnehme nicht einzuhalten war, der Verzugseintritt also feststand. Das sei aber u. a. nach Ansicht des OLG Köln, Urteil vom 28.06.2006 – 11 U 48/04 Voraussetzung für eine Kündigung vor Verzugseintritt. Das OLG Karlsruhe hat mit seiner Entscheidung das Prognoserisiko des Auftraggebers für den Verzugseintritt (deutlich) reduziert. Die Sichtweise sollte aber nicht ohne Not in der Praxis ausprobiert werden. Wenn nicht die „knallharten“ Fakten für eine Kündigung nach § 8 Abs. 3 VOB/B vorliegen (im vorliegenden Zusammenhang: fruchtloser Ablauf einer in den Fällen des § 4 Absätze 7 und 8 Nr. 1 und des § 5 Abs. 4 VOB/B (angemessen) gesetzte Frist) scheint für die Entscheidung, wegen drohenden Verzugs zu kündigen, die Sichtweise des OLG Köln im Urteil vom Urteil vom 28.06.2006 – 11 U 48/04 sicherer zu sein:

1. Der Auftraggeber hat einen wichtigen Grund zur Kündigung, wenn Vertragsverletzungen des Auftragnehmers von solchem Gewicht vorliegen, dass eine Fortsetzung des Vertrages für ihn unzumutbar ist.

2. Das Recht zu einer derartigen Kündigung kann auch dann bestehen, wenn die schwerwiegende Vertragsverletzung noch nicht eingetreten ist, ihr Eintritt jedoch sicher ist. Denn es kann dem Auftraggeber nicht zugemutet werden, die Vertragsverletzung abzuwarten.

3. Die vorherige Kündigungsandrohung ist bei einer Kündigung aus wichtigem Grund nur dann entbehrlich, wenn das Verhalten des Vertragspartners eine besonders schwere Vertragsverletzung darstellt.