Wieder einmal ging es um eine in der Praxis von Planern oft übersehene bzw. unterschätzte „Haftungsfalle“. Nicht selten beauftragen öffentliche Auftraggeber Architektur- bzw. Ingenieurbüros mit der Vorbereitung von und der Mitwirkung an Bauvergaben (Leistungsphasen 6 und 7 HOAI). Dass derartige Aufträge jedoch für die Planungsbüros erhebliche Haftungsrisiken bergen, wenn Fehler bei der Vergabe passieren, ruft ein aktuelles Urteil des OLG Naumburg in Erinnerung.

Um was ging es?

Eine kleine Stadt in Sachsen-Anhalt mit ca. 3.000 Einwohnern (und zum damaligen Zeitpunkt keiner eigenen Vergabestelle) beabsichtigte die Erneuerung des Dachs des Dorfgemeinschaftshauses unter Inanspruchnahme von Fördermitteln aus dem EU-Programm Europäischer Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums (ELER). Der gewährte Förderanteil lag bei immerhin 75 % bzw. knapp 36.000 Euro. Die Bauleistungen des Bauvorhabens waren in drei Lose aufgeteilt: Gerüstbauarbeiten (Los 1), Dachdeckung und -entwässerung (Los 2) sowie Dachdeckendämmung (Los 3).

Zur Unterstützung der Maßnahme band die Stadt ein Architektenbüro ein. Konkret wurde das Büro im Leistungsbild „Objektplanung für Gebäude“ im Sinne von § 34 HOAI 2013 mit den Grundleistungen entsprechend der LPh 1 bis 3 (Grundlagenermittlung, Vor- und Entwurfsplanung) und 5 bis 9 (Ausführungsplanung, Vorbereitung der und Mitwirkung bei der (Bau-) Vergabe, Objektüberwachung, Objektbetreuung) beauftragt. Das Architektenbüro erstellte die Leistungsverzeichnisse sowie die weitere Vergabeunterlagen, bereitete die Veröffentlichung über eine Vergabeplattform vor, prüfte die eingegangenen Angebote und erstellte schließlich einen „Wertungsbericht“, in dem es auf der Grundlage einer von ihm vorgenommenen förmlichen, rechnerischen und inhaltlichen Prüfung der Angebote eine Vergabeempfehlung aussprach. Entsprechend dieser Vergabeempfehlung erteilte die Stadt jeweils losweise die Zuschläge.

Im Ergebnis einer Prüfung über die Fördermittelverwendung widerrief der Zuwendungsgeber den zu Gunsten der Stadt erteilten Zuwendungsbescheid mit Wirkung für die Vergangenheit vollständig. Der Widerruf wurde mit verschiedenen vergaberechtlichen Verstöße bei der Vergabe aller drei Lose begründet (u. a. unzureichend bereitgestellte Formblätter, Verstoß gegen das Nachverhandlungsverbot, unzureichende Dokumentation von Nachforderungen, Ignorieren einer unzulässigen Abänderung der Vergabeunterlagen). Die Stadt forderte daraufhin das Architektenbüro zur Zahlung von 75 % der zurückgeforderten Zuwendungssumme (ca. 27.000 Euro) als Schadensersatz auf. Nachdem das Architektenbüro dieser Aufforderung nicht nachkam, machte die Stadt den Anspruch auf Ersatz von 27.000,00 Euro klageweise geltend.

Mit Erfolg! Nach Auffassung des in zweiter Instanz zuständigen OLG Naumburg gehören die Zusammenstellung der Vergabeunterlagen, das Prüfen und Werten der Angebote, das Führen von Bietergesprächen, das Erstellen der Vergabevorschläge sowie die Dokumentation des Vergabeverfahrens zu den Aufgaben eines mit den LPh 6 (Vorbereitung der (Bau-) Vergabe) und 7 (Mitwirkung bei der (Bau-) Vergabe) im Leistungsbild „Gebäude“ beauftragten Planers. Dies gelte sowohl nach der „alten“ HOAI 2013 als auch nach der neuen HOAI 2021. Das hier entsprechend beauftragte Architektenbüro habe daher für Vergabefehler im Rahmen einer von ihm betreuten Ausschreibung zu haften. Dies gelte – so das OLG Naumburg – vor allem dann, wenn der Auftraggeber – wie hier die klagende Stadt – nicht über eine eigene Vergabestelle mit Erfahrungen bei der Durchführung von Bauvergaben verfüge und auch keine externe Rechtsberatung beauftragt habe, so dass das Architektenbüro erkennbar gerade deshalb gebunden worden sei, um die Defizite des Auftraggebers in den eigenen Kapazitäten auszugleichen. Dabei betont das OLG, dass der Umstand, dass die Stadt sowohl als öffentliche Auftraggeberin im Außenverhältnis zu den Teilnehmern des jeweiligen Vergabeverfahrens als auch als Zuwendungsempfängerin im Verhältnis zu ihrem Zuwendungsgeber für die Vorbereitung und Durchführung des Vergabeverfahrens verantwortlich zeichne, nichts an der Haftung des Planers im Innenverhältnis ändere. Für einen Ausschluss einer solchen Haftung sei im vorliegenden Sachverhalt – anders als z.B. in einem vom OLG München 2001 entschiedenen Fall (vgl. Urteil vom 30.01.2001 -13 U 4744100), den das beklagte Architektenbüro zu seiner Verteidigung angeführt hatte – nichts ersichtlich. Insbesondere könne sich das Architektenbüro in Abwesenheit eines entsprechenden Leistungs- bzw. Haftungsausschlusses für rechtsberatende Leistungen auch nicht nachträglich darauf berufen, nach den Vorgaben des Rechtsdienstleistungsgesetzes („RDG“) gar nicht berechtigt zu sein, Rechtsberatungsleistungen zu erbringen.

Was heißt das für Architekten und natürlich auch Ingenieure?

Architekten- und natürlich auch Ingenieurbüros sollten im Zusammenhang des öffentlichen Beschaffungswesens wie bisher, so auch fortgesetzt äußerst vorsichtig sein und die Grenzen ihrer fachlichen Qualifikation gut kennen. Nicht selten zeigt die Praxis, dass – oft mit „guter Absicht“ – Auftraggebern „geholfen“ wird. Wie z. B. Das Urteil des OLG Naumburg zeigt, geht das schnell schief. Für vergaberechtliche Fragen gibt es Spezialisten, namentlich in diesem Bereich etwa durch einen Titel als Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht bzw. für Vergaberecht ausgewiesene Rechtsanwälte. Denn schon die Frage, inwieweit Architekten und Ingenieure überhaupt berechtigt sind, im Rahmen von Vergabeverfahren Rechtsberatungsleistungen zu erbringen, bildet immer wieder Anlass zu Streitigkeiten. Denn zulässig sind für Angehörige dieser Berufsgruppen lediglich „rechtsberatende Nebenleistungen“. „Echte“ Rechtsberatung dürfen dagegen nur solche Personen erbringen, die über eine Zulassung zur Rechtsanwaltschaft verfügen. Und die Grenzen zwischen „rechtsberatender Nebenleistung“ und „echter Rechtsberatung“ sind fließend. Ungeachtet schon dieses sehr problematischen Streitpunkts zeigt das vorliegende Urteil des OLG Naumburg einmal mehr deutlich, wie wichtig es für Planer, die (Bau-) Vergabeverfahren „begleiten“, ist, ihre eigenen Fähigkeiten und Kapazitäten im Bereich des zunehmend komplexen, für Laien nicht selten unüberschaubaren Vergaberechts realistisch einzuschätzen. Bestehen Zweifel darüber, ob das Vergaberecht in all seinen Ausprägungen und Auswirkungen vollumfassend beherrscht wird, müssen im Planervertrag unbedingt klare Regelungen zur Reichweite und zu den Grenzen der vom Planer übernommenen Rechtsdienstleistungen und Verantwortlichkeiten getroffen werden. Außerdem sollte das Planungsbüro unbedingt den Auftraggeber/ Bauherren klar und unmißverständlich auf etwaige Kompetenzgrenzen im Bereich des Vergaberechts hinweisen. Und unter Umständen empfiehlt es sich auch, Bedenken mitzuteilen bzw. auch Behinderung anzuzeigen oder auch auf die Inanspruchnahme zusätzlicher (interner oder externer) vergaberechtlicher Expertise in Form kompetenter Rechtsberatung hinwirken. Andernfalls droht den Planungsbüros eine Haftung für finanzielle Schäden, die der Auftraggeber durch etwaige Vergabefehler erleidet. Dies kann nicht nur Schäden durch Rückforderungen von Fördermitteln betreffen, sondern z. B. auch Schäden durch Verzögerungen bei der Auftragserteilung. Und bei allem sollten die Architekten und Ingenieure nicht übersehen, dass durch fehlerhafte Anwendung vergaberechtlicher „Spielregeln“ verursachte Schäden durch die eigene Haftpflichtversicherung regelmäßig nicht gedeckt sind, der betroffene Planer also den Schaden selbst regulieren muss.