Wieder einmal eine pragmatische Entscheidung  des Kammergerichts (siehe ansonsten z. B. Kammergericht, Urteil vom 29.01.2019 – 21 U 122/18, das der BGH mit Urteil vom 30.01.2020 – VII ZR 33/19 nicht bestätigte) – diesmal anlässlich von einem Bauunternehmer beanspruchter Bauhandwerkersicherung:

1. Klagt ein Bauunternehmer auf eine Sicherheitsleistung gem. § 650f Abs. 1 Satz 1 BGB, deren Höhe zwischen den Parteien umstritten ist, so ist sie durch das Gericht ohne Beweisaufnahme nach freier Überzeugung festzusetzen (§ 287 Abs. 2 ZPO). Dabei kann das Gericht auch auf einen Betrag erkennen, der geringer ist als die vom Unternehmer schlüssig dargelegte Vergütungsforderung.
2. Bei der Festsetzung der Sicherheitsleistung nach Kündigung des Bauvertrags ist grundsätzlich davon auszugehen, dass sich der Besteller nicht auf einen wichtigen Kündigungsgrund berufen kann; im Ausnahmefall kann aber anderes gelten.
3. Die schlüssige Darlegung der großen Kündigungsvergütung gem. § 648 BGB bzw. § 650f Abs. 5 Satz 2 BGB setzt nicht voraus, dass der Werkunternehmer Angaben zu seinem anderweitigen Erwerb macht.
4. Die Möglichkeit, dass der Werkunternehmer durch den anderweitigen Einsatz seines kündigungsbedingt freigesetzten Personals Umsätze erzielen konnte, die auf seine Kündigungsvergütung anzurechnen sind, kann es rechtfertigen, einen Abschlag von seinem Sicherungsanspruch vorzunehmen.

Worum ging es? Nachdem der Auftragnehmer fruchtlos eine Frist gegenüber dem Auftraggeber zur Leistung einer Bauhandwerkersicherheit gesetzt hatte, stellte er seine Leistung und erhob Klage auf Sicherheitsleistung in Höhe von rund 2 Mio. Euro. Im Prozess kündigte der verklagte Auftraggeber den Bauvertrag „aus wichtigen Grund“. Am selben Tag, an dem dem Auftragnehmer die Kündigung zuging, kündigte er seinerseits den Bauvertrag gemäß § 650f Abs. 5 BGB („Hat der Unternehmer dem Besteller erfolglos eine angemessene Frist zur Leistung der Sicherheit nach Absatz 1 bestimmt, so kann der Unternehmer die Leistung verweigern oder den Vertrag kündigen. Kündigt er den Vertrag, ist der Unternehmer berechtigt, die vereinbarte Vergütung zu verlangen; er muss sich jedoch dasjenige anrechnen lassen, was er infolge der Aufhebung des Vertrages an Aufwendungen erspart oder durch anderweitige Verwendung seiner Arbeitskraft erwirbt oder böswillig zu erwerben unterlässt. Es wird vermutet, dass danach dem Unternehmer 5 Prozent der auf den noch nicht erbrachten Teil der Werkleistung entfallenden vereinbarten Vergütung zustehen.„). Der Auftragnehmer legte eine schlüssige Abrechnung seiner Kündigungsvergütung vor. Der Auftraggeber bestritt die Tatsachen, aus denen sich nach Grund und Höhe der Anspruch auf Sicherheitsleistung ergeben solle.

Nur zum Teil mit Erfolg!

Grundsätzlich – so das Kammergericht im Sinne der obergerichtlichen Rechtsprechung – habe der Auftragnehmer Anspruch auf Sicherheitsleistung, und zwar auch, wenn beide Parteien den Bauvertrags gekündigt hätten.

Ist im Rahmen einer Klage auf der Grundlage von § 650f Abs. 1 BGB die Höhe der Vergütung strittig, sei es rechtens und in aller Regel auch geboten, dass das Gericht die Sicherheitsleistung, zu der der Auftraggeber verurteilt wird, in freier Überzeugung gemäß § 287 Abs. 2, 1 ZPO („(1) Ist unter den Parteien streitig, ob ein Schaden entstanden sei und wie hoch sich der Schaden oder ein zu ersetzendes Interesse belaufe, so entscheidet hierüber das Gericht unter Würdigung aller Umstände nach freier Überzeugung. Ob und inwieweit eine beantragte Beweisaufnahme oder von Amts wegen die Begutachtung durch Sachverständige anzuordnen sei, bleibt dem Ermessen des Gerichts überlassen. Das Gericht kann den Beweisführer über den Schaden oder das Interesse vernehmen; die Vorschriften des § 452 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 bis 4 gelten entsprechend. (2) Die Vorschriften des Absatzes 1 Satz 1, 2 sind bei vermögensrechtlichen Streitigkeiten auch in anderen Fällen entsprechend anzuwenden, soweit unter den Parteien die Höhe einer Forderung streitig ist und die vollständige Aufklärung aller hierfür maßgebenden Umstände mit Schwierigkeiten verbunden ist, die zu der Bedeutung des streitigen Teiles der Forderung in keinem Verhältnis stehen.„) festsetzt. Dabei sei – so das Kammergericht – die schlüssige Darlegung des Vergütungsanspruchs nur der Ausgangspunkt für die Bestimmung der Höhe der Sicherheitsleistung. Dies habe zur Konsequenz, dass das Gericht dem Auftragnehmer auch eine Sicherheitsleistung zusprechen könne, die eine geringere Höhe als die von ihm schlüssig dargelegte Vergütung habe. Genau das ist vorliegend auch passiert. Das Kammergericht hielt es für hinreichend wahrscheinlich, dass der Auftragnehmer durch den anderweitigen Einsatz seines kündigungsbedingt freigesetzten Personals Umsätze erzielen konnte, was einen Abschlag von seinem Sicherungsanspruch gerechtfertigt habe.

Ob die Entscheidung vom BGH gegebenenfalls bestätigt wird, bleibt abzuwarten. Richtig dürfte jedenfalls sein, dass die Sichtweise des Auftraggebers bei der Ermittlung der Höhe der Sicherheit grundsätzlich unerheblich sein dürfte (vgl. BGH, Urteil vom 06.03.2014 – VII ZR 349/12). Für die Höhe der Sicherheit ist stets allein auf den Vortrag des Auftragnehmers abzustellen. Das gilt jedenfalls dann, wenn substanziiertes Bestreiten des Auftraggebers gravierende Zweifel an der Höhe nicht begründen. Es bleibt allerdings abzuwarten, ob der BGH der Sichtweise des Kammergerichts bei entsprechender Fallkonstellationen folgen wird und einen „Abschlag“ entgegen dem Vortrag des Auftragnehmers für rechtens erachtet. Bei seiner aktuellen Entscheidung zur Sicherheit für zusätzliche Leistungen hat der BGH nämlich allein und ausschließlich auf den Vortrag des Auftragnehmers abgestellt (Urteil vom 20.10.2022 – VII ZR 154/21).