In einem dem OLG Celle vorliegenden Sachverhalt wurde die Klage eines Ingenieurs auf Bezahlung der Mindestsätze der HOAI abgewiesen, weil sein Verlangen gegen das Gebot von Treu und Glauben verstoßen haben soll. In den Leitsätzen entschied das Gericht:

1. Eine Geltendmachung der Mindestsätze kann nach Treu und Glauben ausgeschlossen sein, wenn der Auftraggeber auf die Wirksamkeit einer Honorarvereinbarung vertrauen durfte und ihm die Zahlung des Differenzbetrags zwischen dem vereinbarten Honorar und den Mindestsätzen nicht zugemutet werden kann (hier bejaht).
2. Ein schützenswertes Vertrauen in die Wirksamkeit einer Honorarvereinbarung kann auch dann vorliegen, wenn der Auftraggeber Voraussetzungen für gegeben hält, die eine Mindestsatzunterschreitung ausschließen, wie beispielsweise eine nicht vollständige Beauftragung aller Grundleistungen, so dass eine Honorarkürzung geboten sein könnte.

Dem Rechtssreit lag folgender Sachverhalt zu Grunde:

Ein Bauunternehmen (AG) unterbeauftragt 2013 ein Ingenieurbüro (AN) mit Planungsleistungen entsprechend HOAI. Statt einer schriftlichen Honorarvereinbarung existieren lediglich wechselseitige Vertragsentwürfe, die das Honorar für die beauftragten Grundleistungen mal mit pauschal 170.000 Euro netto verpreisen (AN), mal mit lediglich pauschal rund 161.000 Euro netto (AG). Die ebenfalls unter Berufung auf „bestehende Vereinbarungen“ gestellte letzte Abschlagsrechnung i. H. v. knapp 170.000 Euro netto, die von einem fast vollständigen Leistungsstand ausging, wurde vom AG, anders als zuvor, auf rund 161.000 Euro netto gekürzt. Nachdem der AG sich nicht bewegen ließ, auch noch die Differenz zum abgerechneten Honorar zu zahlen, erhob der AN entsprechend seiner vorherigen Ankündigung eine sogenannte Mindestsatzaufstockungsklage i. H. v. rund 114.000 Euro netto.

Das Gericht wies die Klage in erster und zweiter Instanz ab. Im Ergebnis einer durchgeführten Beweisaufnahme ging das OLG Celle von einem vereinbarten Honorar i. H. v. rund 161.000 Euro netto aus. Die Berufung auf ein höheres (HOAI-Mindestsatz-) Honorar sei dem AN nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) verwehrt. Gemäß der Rechtssprechung des BGH verhalte sich ein AN widersprüchlich, der eine Pauschalvereinbarung unterhalb der HOAI-Mindestsätze abschließe und später nach diesen „aufstockend“ abrechnen wolle. Dies sei nach Treu und Glauben ausgeschlossen, wenn der AG auf die Wirksamkeit der Vereinbarung vertraut habe und vertrauen durfte und er sich darauf in einer Weise eingerichtet habe, dass ihm die Zahlung des Mindestsatz-Differenzbetrags unzumutbar sei. Konkret meint das OLG Celle:

„Der Klägerin steht gem. § 242 BGB kein über den vereinbarten Pauschalpreis hinausgehender Honoraranspruch zu. Ihre weitere Werklohnforderung ist rechtsmissbräuchlich.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. insbesondere BGH, Urteil vom 27. Oktober 2011 – VII ZR 163/10, Rn. 24 mwN, juris) verhält sich der Auftragnehmer widersprüchlich, wenn er eine Pauschalvereinbarung unterhalb der Mindestsätze der HOAI abschließt und später nach den Mindestsätzen abrechnen will. Eine Geltendmachung der Mindestsätze kann dann nach Treu und Glauben ausgeschlossen sein. Das ist namentlich der Fall, wenn der Auftraggeber auf die Wirksamkeit der Vereinbarung vertraut und vertrauen durfte und er sich darauf in einer Weise eingerichtet hat, dass ihm die Zahlung des Differenzbetrags zwischen dem vereinbarten Honorar und den Mindestsätzen nach Treu und Glauben nicht zugemutet werden kann.
Ob dieses widersprüchliche Verhalten zur Folge hat, dass der Auftragnehmer an seine ursprünglichen Rechnungen und die niedrigere Pauschale aus der Honorarvereinbarung gebunden ist, muss in einer Gesamtabwägung anhand des Verhaltens und der vertrauensbildenden Umstände einzelfallbezogen beurteilt werden (st. Rspr. vgl. BGH, Urteil vom 23. Oktober 2008 – VII ZR 105/07, Rn. 17 f. mwN; BGH, Urteil vom 22. Mai 1997 – VII ZR 290/95, Rn. 26 mwN, beide juris).

In diesem Zusammenhang hat der Bundesgerichtshof in seinem Urteil vom 27. Oktober 2011 (aaO) darauf hingewiesen, dass allein der Umstand, dass dem Auftraggeber das zwingende Preisrecht der Honorarordnung für Architekten und Ingenieure bekannt ist, nicht zwingend zu der Annahme führt, er habe kein schützenswertes Vertrauen darauf entwickeln dürfen, dass die Preisvereinbarung wirksam ist. Schützenswertes Vertrauen in die Wirksamkeit einer Honorarvereinbarung kann auch ein der Honorarordnung kundiger Vertragspartner entwickeln, wenn er auf der Grundlage einer vertretbaren Rechtsauffassung davon ausgeht, die Preisvereinbarung sei wirksam. Ein Rechtsirrtum zwingt nicht ohne Weiteres zu der Annahme, der Vertragspartner habe kein schützenswertes Vertrauen in die Wirksamkeit der Honorarvereinbarung entwickeln können. Ein schützenswertes Vertrauen kann aber auch dann entwickelt worden sein, wenn der Auftraggeber in vertretbarer Weise Voraussetzungen für gegeben hält, die eine Mindestsatzunterschreitung ausschließen. Das kann z.B. dann der Fall sein, wenn er die vertretbare Auffassung entwickelt hat, der erteilte Auftrag enthalte nicht alle vollständigen Grundleistungen, so dass eine Kürzung des Honorars geboten ist (vgl. auch Senat, Urteil vom 10. August 2020 – 14 U 54/20, Rn. 26, juris).“

So liege der Fall, so das OLG Celle, auch bei dem zu bewertenden Sachverhalt. Der dortige AN habe einen Vertrauenstatbestand geschaffen, weil er wissentlich ein Pauschalhonorar unter den Mindestsätzen angeboten und unter Bezugnahme „auf die bestehenden Vereinbarungen“ abgerechnet habe. Der AG habe bei der Honorarvereinbarung die Kalkulation seines geschlossenen Hauptauftrags nochmals überprüft, um die zu vereinbarende Honorarpauschale zahlen zu können. Er habe sich daher bei Vertragsabschluss mit dem AN wirtschaftlich nur auf die Zahlung der vereinbarten Pauschale eingerichtet. Hierbei sei er nach oben Leitsatz 2 in seinem Vertrauen auch schützenswert. Eine nachträgliche Erhöhung der Honorarforderung um 50 % sei dem AG nicht mehr zumutbar. Auch die Berufung des AN auf den Formverstoß würde daher zu einem unerträglichen Ergebnis führen.

Man kann die Auffassung des OLG Celle nachvollziehen. Ganz unstrittig dürfte sie aber nicht sein. Duraus durch „die Hintertür“ des § 242 BGB wurde die gesetzliche Regelvorgabe mit „Billigkeitserwägungen“ de facto zum Ausnahmefall gemacht. Das OLG unterstellte dem AN offenbar, er habe von Anfang an fest beabsichtigt, in Höhe der Mindestsätze abzurechnen, was jedenfalls die Entscheidunghsgründe zum Urteil nicht erkennen lassen dürften. Die vom AN behauptete höhere Honorarvereinbarung hat der AG wohl stets negiert. Seine eigene Vergütungsvereinbarung mit dem Bauherrn hat der AG wohl nicht „sich einrichtend“ im Vertrauen auf die Honorarvereinbarung mit dem AN getroffen, sondern zeitlich vorher. Und warum soll die Zahlung bloß des gesetzlichen Mindesthonorars unzumutbar sein, allein weil es die (streitige) Vereinbarung um 50 % übersteigt? Ist also besonders schützenswert, wer das Honorar besonders tief „drückt“?

Dank der jüngsten EuGH-Entscheidung zur HOAI 2013 vom 18.01.2022 – C-261/20 dürften solche Fälle die Gerichte noch eine Weile beschäftigen.

Es empfiehlt sich also wie bisher zur Vermeidung solcher „Honorarüberraschungen“, diesbezüglich von Anfang an transparente Regelungen aufzunehmen, die die Auftraggeberseite genauso versteht, wie die Auftragnehmerseite. Nur so kann, wenn ein Bauvorhaben hinsichtlich der zu erwartenden Kosten insgesamt realistisch kalkuliert und sicher werden soll, Klarheit geschaffen werden.