Der BGH, Urteil des VII. Zivilsenats vom 08.08.2019 – VII ZR 34/18 – hat eine neue Methode zur Abrechnung von Mengenmehrungen ausgeurteilt.

In den Leitsätzen formuliert das BGH Urteil des VII. Zivilsenats vom 08.08.2019 – VII ZR 34/18 – für den Fall von Mengenmehrungen über der 10% folgende wesentlichen Gedanken:

a) Wie die Vergütungsanpassung bei Mengenmehrungen vorzunehmen ist, wenn eine Einigung über den neuen Einheitspreis nicht zustande kommt, ist in § 2 Abs. 3 Nr. 2 VOB/B nicht geregelt. Die Bestimmung gibt nur vor, dass bei der von den Parteien zu treffenden Vereinbarung über den neuen Preis Mehr- oder Minderkosten zu berücksichtigen sind. Die VOB/B legt die Verantwortung für die neue Preisbestimmung, durch die etwaigen Störungen des Äquivalenzverhältnisses entgegengewirkt werden soll, damit in die Hände der Vertragsparteien, die unter Berücksichtigung der geänderten Umstände einen neuen Preis aushandeln sollen.

b) Abgesehen von der in § 2 Abs. 3 Nr. 2 VOB/B vorgesehenen Einigung auf einen neuen Einheitspreis können die Vertragsparteien sowohl bei Vertragsschluss für den ungewissen Fall, dass Mengenmehrungen im Sinne dieser Bestimmung eintreten, als auch nachträglich, sobald aufgrund konkret eingetretener Mehrmengen ein neuer Einheitspreis verlangt wird, sich über einzelne Teilelemente der Preisbildung verständigen. Sie können etwa einen bestimmten Maßstab beziehungsweise einzelne Kriterien oder Faktoren festlegen, nach denen im konkreten Fall der neue Einheitspreis nach § 2 Abs. 3 Nr. 2 VOB/B bestimmt werden soll.

c) Haben sich die Parteien nicht insgesamt oder im Hinblick auf einzelne Elemente der Preisbildung geeinigt, enthält der Vertrag eine Lücke, die im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung gemäß §§ 133, 157 BGB zu schließen ist. Dabei entspricht es der Redlichkeit und dem bestmöglichen Ausgleich der wechselseitigen Interessen, dass durch die unvorhergesehene Veränderung der auszuführenden Leistungen im von § 2 Abs. 3 Nr. 2 VOB/B bestimmten Umfang keine der Vertragsparteien eine Besser- oder Schlechterstellung erfahren soll.

d) Die im Rahmen der ergänzenden Vertragsauslegung vorzunehmende Abwägung der beiderseitigen Interessen der Parteien nach Treu und Glauben ergibt, dass – wenn nichts anderes vereinbart ist – für die Bemessung des neuen Einheitspreises bei Mehrmengen im Sinne von § 2 Abs. 3 Nr. 2 VOB/B
die tatsächlich erforderlichen Kosten zuzüglich angemessener Zuschläge maßgeblich sind.

Am Ende der Begründung des BGH Urteil des VII. Zivilsenats vom 08.08.2019 – VII ZR 34/18 –
finden sich dann noch wesentliche Inhalte zum Verständnis der Entscheidung. So meint das Urteil insgesamt insbesondere:

Es bedarf des Rückgriffes auf die vorkalkulatorische Preisfortschreibung nicht, um der Störung des Äquivalenzverhältnisses adäquat zu begegnen. Das Preisanpassungsverlangen betrifft nur die relevanten Mehrmengen, während die im Wettbewerb zustande gekommene Vergütungsvereinbarung im Übrigen unangetastet bleibt, denn für die angebotene beziehungsweise im Vertrag vereinbarte Menge zuzüglich des Toleranzzuschlages von 10 % verbleibt es bei der vereinbarten Vergütung. Rn. 35
Soweit die Befürworter der vorkalkulatorischen Preisfortschreibung darauf abstellen, dass das Vertragspreisniveau erhalten bleiben und den vertraglichen Abreden zur Wirksamkeit verholfen werden soll, sieht die Regelung in § 2 Abs. 3 Nr. 2 VOB/B nach ihrem Wortlaut gerade nicht vor, dass der für die ursprünglich erwartete Ausführungsmenge vereinbarte Preis, wenn auch in angepasster Form, für die diesen Rahmen überschreitende Ausführungsmenge fortgelten soll. Vielmehr kann der neue Einheitspreis selbständig und losgelöst davon bestimmt werden. Rn. 35

Gegenüber der Auffassung, es sei in den Fällen des § 2 Abs. 3 Nr. 2 VOB/B der Maßstab der üblichen Vergütung im Sinne des § 632 Abs. 2 BGB anzuwenden, verspricht die Anknüpfung an denjenigen der tatsächlich erforderlichen Kosten zuzüglich angemessener Zuschläge ein redlicheres Ergebnis.

Die tatsächlich erforderlichen Kosten zuzüglich angemessener Zuschläge etwa für Baustellengemeinkosten, allgemeine Geschäftskosten und Gewinn sind der speziellere und damit gerechtere Maßstab, weil dadurch den Besonderheiten des konkreten Einzelfalls Rechnung getragen werden kann. Rn. 36

Das BGH Urteil des VII. Zivilsenats vom 08.08.2019 – VII ZR 34/18 – ist damit eine bewusste Abwehr von der herrschenden Auffassung, wonach bei Mengenmehrungen das vertragliche Preisniveau aufrechterhalten werden müsste und etwaige Mehr- oder Minderkosten sich eben als Fortschreibung dieser im Wettbewerb gebundenen Preise verstehen muss.

Es wird aber zu beachten sein, dass der Tatrichter immer erst auslegen muss, wie sich die Parteien im Rahmen der vorprozessualen Verhandlungen verhalten hatten. Hatten beide Seiten ausdrücklich oder konkludent die vertraglichen Preisansätze für die Fortschreibung verwendet, werden sie sich im weiteren Rechtsstreit daran halten müssen. Denn für eine andere Auslegung sieht der BGH nur Raum, wenn sich die Parteien auf solche Maßstäbe nicht eingelassen hatten.

Es fällt auf, dass sich die Entscheidung sehr nah an den neuen gesetzlichen Maßstab der Preisbildung gemäß § 650c BGB hält:

„(1) Die Höhe des Vergütungsanspruchs für den infolge einer Anordnung des Bestellers nach § 650b Absatz 2 vermehrten oder verminderten Aufwand ist nach den tatsächlich erforderlichen Kosten mit angemessenen Zuschlägen für allgemeine Geschäftskosten, Wagnis und Gewinn zu ermitteln.“

Dort immerhin gibt es aber auch die Alternative:

„(2) Der Unternehmer kann zur Berechnung der Vergütung für den Nachtrag auf die Ansätze in einer vereinbarungsgemäß hinterlegten Urkalkulation zurückgreifen. Es wird vermutet, dass die auf Basis der Urkalkulation fortgeschriebene Vergütung der Vergütung nach Absatz 1 entspricht.“

Im Rahmen des öffentlichen Auftragswesen bleibt diese Herangehensweise natürlich ein Problem. Denn mit Blick auf diesen vom Wettbewerb losgelösten Anspruch auf Vergütung der Mehrmengen, soweit sie die Grenze der 10% überschreiten stellt defacto eine Neuvergabe da, die außerhalb des marktrelevanten Wettbewerbes läuft. Gerade für Mengenmehrungen ist es dabei praktisch oft schwer oder gar nicht möglich, diese Frage vergaberechtlich und fördermittelrechtlich vorher zu klären, weil Mengenmehrungen manchmal erst während des Verlaufes der Leistungen oder später festgestellt werden. Insofern läuft dann die den Wettbewerb schützende Vorschrift des § 22 (EU) VOB/A genauso leer wie §§ 132 ff. GWB. Vielleicht sind das Marginalien. Es wäre aber zur Sicherung der bisher herrschenden Meinung möglich, z.B. in den maßgeblichen BVB etwa des VHB (Vergabehandbuch des Bundes bzw. der Länder) und des HVA B-StB (Handbuch für die Vergabe und Ausführung von Bauleistungen im Straßen- und Brückenbau) die Preisfortschreibung auch bei Mengenänderungen auf die Basis der Preisermittlung vorzugeben. Dies wäre kein Eingriff in die VOB/B, die zum Wegfall der Privilegierung gemäß § 310 Abs. 1 Satz 3 BGB führen muss. So ist von Bedeutung, dass der BGH gerade festgestellt hat, dass die VOB/B insofern keinen anderen Maßstab reguliert, sodass durch die Bestimmung eines vertraglichen Maßstabes auch nicht in die VOB/B eingegriffen werden kann. Eine solche Allgemeine Geschäftsbedingungen würde darüber hinaus auch nicht in das Gesetz – etwa gemäß § 307 BGB – eingreifen, weil gerade der Gesetzgeber auch vorgesehen hat, dass die Kalkulation jedenfalls bei deren Hinterlegung Maßstab sein kann und nicht unangemessen ist. Die Lösung würde also auf dem gesetzlichen Leitbild entsprechend. Natürlich wäre es denkbar, dass bei der nächsten Debatten zur Novellierung der VOB/B klargestellt wird, dass die in der VOB/B mit den Kosten in § 2 die Kosten der Preisbildung als Einzelkosten der Teilleistungen sowie als Baustellengemeinkosten und allgemeine Geschäftskosten meint. Es könnte ergänzt werden, dass es auch bei der Mehrung im Wesentlichen nur um die Verteilung der Zuschläge aus den Baustellengemeinkosten und Allgemeine Geschäftskosten geht. Diese Regelung enthält § 2 Abs. 3 Nummer 3 Satz 2 VOB/B ohnehin:

“ Die Erhöhung des Einheitspreises soll im Wesentlichen dem Mehrbetrag entsprechen, der sich durch Verteilung der Baustelleneinrichtungs- und Baustellengemeinkosten und der Allgemeinen Geschäftskosten auf die verringerte Menge ergibt.“*

Schließlich bleibt ein Hauptproblem, dass in den seltensten Fällen isoliert nur Mengenmehrungen vorliegen. Die Entscheidung klärt nun nicht, wie die sonst von der Rechtsprechung (BGH, Urteil vom 26.01.2012 – VII ZR 19/11 (Nullposition-Urteil), Rdnr. 22 unter Bezug auf BGH, Urteil vom 18.12.1986 – VII ZR 39/86) so beschriebene Ausgleichsberechnung über den gesamten Vertrag mit Blick auf diese kalkulierten Zuschläge aus dem Baustellengemeinkosten und Allgemeinen Geschäftskosten in die Gesamtbetrachtung einzubeziehen ist. Denn insofern enthält § 2 Abs. 3 Nummer 3 Satz 2 VOB/B *klare Vorgaben für die Preisanpassung. Vermutlich müsste der BGH in der Konsequenz seiner jetzigen Entscheidung das Problem so lösen, dass er auf einer ersten Stufe die tatsächlich erforderlichen Kosten mit Blick auf die 10% Überschreitung der Mengen klärt, um dann auf einer zweiten Stufe noch die Ausgleichsberechnung mit den Zuschlägen vorzunehmen. Das wäre sicherlich rechnerisch auch möglich und würde auf der Linie der jetzigen Entscheidung liegen.

 

Das KG Berlin, Urteil vom 27.08.2019 – 21 U 160/18 hat nun gleich hieraus geschlussfolgert, dass die Bemessungsgrundlage des Mehrvergütungsanspruch aus § 2 Abs. 5 und 6 VOB/B auch diese tatsächlichen Mehr- oder Minderkosten sind, die dem Unternehmer aufgrund der Leistungsänderung entstehen, sofern die Parteien nichts Abweichendes vereinbart haben.

Die Preiskalkulation des Unternehmers sei nur ein Hilfsmittel bei der Ermittlung dieser Kostendifferenz. Im Streitfall kommt es nicht auf die Kosten an, die der Unternehmer in seiner Kalkulation angesetzt hat, sondern auf diejenigen, die ihm bei Erfüllung des nicht geänderten Vertrages tatsächlich entstanden wären. Allerdings diene die Kalkulation dazu, die Kosten anzugeben, die dem Unternehmer durch die Vertragsdurchführung entstehen. Daraus soll nun folgen:

Soweit die Kalkulation, auf die sich ein Unternehmer in einem Rechtsstreit bezieht, unstreitig bleibt, ist die von ihm auf dieser Grundlage errechnete Mehrvergütung im Zweifel auf Grundlage seiner tatsächlichen Mehrkosten ermittelt und also maßgeblich nach § 2 Abs. 5 und 6 VOB/B.

Ist es nach der einem Vertrag zugrunde liegenden Leistungsbeschreibung unklar, ob der Unternehmer eine bestimmte Leistung in die vereinbarte Vergütung hätte einkalkulieren müssen, so gibt es keine allgemeine Regel, dass diese Unklarheit generell zu seinen Lasten oder umgekehrt zu Lasten des Bestellers zu lösen wäre. Maßgeblich ist vielmehr die Auslegung der Leistungsbeschreibung aus der Sicht einer objektiven Vertragspartei unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls.