Der EuGH hat mit Urteil vom 04.07.2019 erkannt, dass die verbindlichen Mindest- und Höchstsätze für Honorare von Planungsleistungen der Architekten und Ingenieuren in der HOAI gegen die sog. EU-Dienstleistungsrichtlinie verstoßen. Welche honorarrechtlichen Folgen dieses EuGH-Urteil auf bestehende und künftige Vertragsverhältnisse sowie auf laufende und künftige Vergabeverfahren hat, ist nicht verbindlich und in der deutschen Rechtsprechung und baurechtlichen Literatur umstritten. Hier eine Übersicht der Ansichten und eine Empfehlung zum Umgang mit der Situation:

I. Bereits abgeschlossene Verträge

1. Vertragsabschluss bzw. Abruf der Leistungsstufe vor dem 28.12.2009 (ab diesem Datum ist die sog. EU-Dienstleistungsrichtlinie in Kraft)

Wohl keine Auswirkungen:

Mit Urteil vom 04.07.2019 hat der EuGH einen Verstoß gegen die EU-Dienstleistungsrichtlinie 2006/123/EG vom 12.12.2006 festgestellt. Diese EU-Richtlinie vom 12.12.2006 war von den EU-Mitgliedsstaaten erst zum 28.12.2009 umzusetzen (Art. 44 Abs. 1 der Richtlinie).

2. Vertragsabschluss bzw. Abruf der Leistungsstufe ab dem 28.12.2009

a) Keine schriftliche Honorarvereinbarung bei Auftragserteilung i.S.v. § 7 Abs. 1 HOAI geschlossen

Mögliche Auswirkungen:

Ansicht I

Der Auftraggeber schuldet die ortsübliche Vergütung nach § 632 Abs. 2 BGB. Mindestsätze nach der HOAI können dann nicht mehr verlangt werden, wenn der Mindestsatz über der ortsüblichen Vergütung liegt (vgl. LG Bonn, Urteil vom 18.09.2019 – 20 O 299/16; OLG Düsseldorf, Urteil vom 17.09.2019 – 23 U 155/18).

Ansicht II

Keine Auswirkungen. Der Planer hat hiernach Anspruch auf den HOAI-Mindestsatz, weil die EuGH-Entscheidung nicht die Auffangregelung in § 7 Abs. 5 HOAI (fehlende Schriftform der Honorarabrede bei Auftragserteilung) betrifft (vgl. LG Hamburg, Urteil vom 23.05.2019 – 321 O 288/17; Fuchs, NZBau 2019, 483).

b) Vorliegen einer schriftlichen Honorarvereinbarung i.S.v. § 7 Abs. 1 HOAI

aa) Honorarvereinbarung innerhalb des Honorarrahmens der HOAI

Keine Auswirkungen; Honorarvereinbarung bleibt wirksam.

bb) Honorarvereinbarung außerhalb des Honorarrahmens der HOAI (z. B. Pauschale unterhalb der Mindestsätze)

>Privater Auftraggeber

Mögliche Auswirkungen:

Ansicht I

Honorarvereinbarung ist wirksam. Eine Mindestsatzunterschreitung bzw. Höchstsatzüberschreitung nach der HOAI kann ab sofort nicht mehr geltend gemacht werden (vgl. LG München I, Beschluss vom 24.09.2019 – 5 O 13187/19; LG Bonn, Urteil vom 18.09.2019 – 20 O 299/16; OLG Düsseldorf, Urteil vom 17.09.2019 – 23 U 155/18; OLG Celle, Urteil vom 14.08.2019 – 14 U 198/18, Revision beim BGH anhängig – VII ZR 205/19; OLG Celle, Urteil vom 23.07.2019 – 14 U 182/18; OLG Celle, Urteil vom 17.07.2019 – 14 U 188/18, Nichtzulassungsbeschwerde beim BGH anhängig – VII ZR 179/19; LG Dresden, Beschluss vom 08.02.2018 – 6 O 1751/15; LG Baden-Baden, Beschluss vom 07.05.2019 – 3 O 221/18).

Ansicht II

Honorarvereinbarung ist unwirksam. Die Honorarvereinbarung könnte – wie bisher – wegen Verstoßes gegen die HOAI unwirksam sein. Das Preisrecht der HOAI ist bis zur Novellierung der HOAI zwischen Privaten weiterhin anzuwenden. Denn nach der EuGH-Rechtsprechung kommt eine sog. unmittelbare horizontale Direktwirkung einer – wie hier – nicht umgesetzten EU-Richtlinie bei Streitigkeiten zwischen Privaten grundsätzlich nicht in Betracht (vgl. EuGH, Urteil vom 07.08.2018 – Rs. C-122/17). Die HOAI wird hiernach durch Art. 15 der Dienstleistungsrichtlinie bei Streitigkeiten zwischen Privaten nicht verdrängt (vgl. OLG München, Beschluss vom 08.10.2019; KG, Beschluss vom 19.08.2019 – 21 U 20/19 (Dieser Rechtsstreit wurde durch Vergleich erledigt.); OLG Hamm, Urteil vom 23.07.2019 – 21 U 24/18, Revision beim BGH anhängig – VII ZR 174/19; OLG Naumburg, Urteil vom 13.04.2017 – 1 U 48/11; KG, Urteil vom 01.12.2017 – 21 U 19/12; LG Stuttgart, Beschluss vom 16.11.2018 – 28 O 375/17; Landesberufungsgericht für Architekten, Architektinnen, Stadtplaner und Stadtplanerinnen, Beschluss vom 01.08.2018 – 6s E 46/18; vgl. auch Thode, Anmerkungen zum Urteil OLG Celle vom 14.08.2019 – 14 U 198/18, jurisPR-BauR 11/2019 Anm. 1).

> Öffentliche Auftraggeber

Mögliche Auswirkungen:

Ansicht I

Honorarvereinbarung ist wirksam. Eine Mindestsatzunterschreitung (bzw. Höchstsatzüberschreitung) nach der HOAI kann aufgrund der sog. vertikalen unmittelbaren Wirkung der EU-Dienstleistungsrichtlinie nicht mehr geltend gemacht werden.

Ansicht II

Honorarvereinbarung ist unwirksam. Die Bundesrepublik Deutschland soll sich nicht auf ihre eigene EU-Vertragsverletzung – hier die versäumte Abschaffung des verbindlichen Honorarrahmens – berufen können (vgl. EuGH, Urteil vom 19.01.1982 – Rs. 8/81). Der Planer kann nach dieser Ansicht weiterhin eine Mindestsatzunterschreitung der HOAI gelten machen.

II. Neue Verträge bis zur Novellierung der HOAI

Es gelten die Anmerkungen zu II.1 analog.

Hinweis: Die HOAI ist nicht als ganzes unionsrechtswidrig!  Die HOAI-Sätze können als Honorar vereinbart werden. Die HOAI kann nach wie vor zur Definition/Beschreibung der Leistungspflichten vertraglich in Bezug genommen werden (vgl. diesbezüglich auch Wortlaut des Par. 650 p Abs. 1 BGB 2018 „…nach dem jeweiligen Stand der Planung und Ausführung… erforderlich…“).

Empfehlung: Honorarvereinbarung schließen!

Im Hinblick auf die bestehenden Unsicherheiten sollten die Vertragsparteien jedenfalls bis zur Novellierung der HOAI auf den Abschluss einer Honorarvereinbarung (Vereinbarung der HOAI-Sätze, Pauschale oder Zeithonorar) achten, die im Hinblick auf § 7 Abs. 1 HOAI der dort geregelten Schriftform genügt und spätestens bei Auftragserteilung abzuschließen ist.

III. Laufende und künftige Vergabeverfahren

1. Angebot des Bewerbers/Bieters innerhalb des Honorarrahmens der HOAI

Keine Auswirkungen

2. Angebot des Bewerbers/Bieters außerhalb des Honorarrahmens der HOAI

Kein Ausschluss des Bewerbers/Bieters aufgrund des Verstoßes gegen den Mindestsatz der HOAI mehr möglich (vgl. VK Bund, Beschluss vom 30.08.2019 – VK 2-60/19). Das Angebot ist – soweit keine anderen Ausschlussgründe vorliegen – zu werten.